Skip to Content
 Mann, stehend

Rechenpower für Herz und Klima

  • Forschung
  • Aktuelles aus der Forschung
  • Aus der Forschung

Hartwig Anzt, Professor am TUM Campus Heilbronn, entwickelt Methoden zur Lösung von Gleichungen. Das mag zunächst abstrakt klingen, ist aber tatsächlich äußerst praxisnah: Die Rechenmodelle kommen unter anderem in medizinischen Simulationen und bei Klimaprognosen zum Einsatz.

 

Numerische Verfahren für das Hochleistungsrechnen auf Supercomputern zu entwickeln – das ist der Forschungsschwerpunkt von Hartwig Anzt, Professor für Computational Mathematics, an der TUM School of Computation, Information and Technology (CIT). Diese Algorithmen der Forschungsgemeinschaft zugänglich zu machen, ist dem Informatiker ein wichtiges Anliegen. Deshalb hat er GINKGO mitentwickelt: „GINKGO ist ein Softwarepaket, das verschiedene numerische Methoden zur Lösung von Gleichungssystemen bereitstellt. Im Prinzip funktioniert es wie ein Werkzeugkasten, der von der Community genutzt werden kann, um Gleichungen zu lösen“, erklärt Anzt.

Inzwischen greifen ganz unterschiedliche Organisationen auf GINKGO zurück, um Simulationen in den verschiedensten Anwendungsbereichen zu erstellen. „Für uns ist es in den meisten Fällen gar nicht relevant, was genau berechnet werden soll. Wenn es die Anforderung gibt, ein Gleichungssystem einer bestimmten Größe mit spezifischen Charakteristika zu lösen, dann können wir auf das entsprechende Tool hinweisen, das genutzt werden kann“, sagt Anzt und nennt einige konkrete Anwendungsfälle: „Das Princeton Plasma Physics Laboratory nutzt GINKGO für Simulationen von Fusionsreaktoren, und bei Raketenantriebssimulationen greift das Lawrence Livermore National Laboratory auf unsere Bibliothek zurück.“

 

Das menschliche Herz besser verstehen

 

Ein weiteres Beispiel, bei dem GINKGO zum Einsatz kommt, ist MICROCARD, ein Projekt des „Gemeinsamen Unternehmens für europäisches Hochleistungsrechnen“ (EuroHPC). „Da geht es um die Simulation des menschlichen Herzens, genauer gesagt um die elektrochemischen Prozesse, die dort ablaufen“, erklärt der Informatiker. „Wir wissen, dass die einzelnen Herzzellen durch elektrochemische Prozesse miteinander kommunizieren, sodass sie synchronisiert schlagen. Doch die genauen Prozesse, wie das funktioniert, und warum es manchmal zu Herzrhythmusstörungen oder einem Herzinfarkt kommt, verstehen wir noch nicht.“

Eine Simulation des menschlichen Herzens auf Zellebene scheiterte bisher daran, dass es Milliarden von Zellen im menschlichen Herzen gibt und die Rechenleistung für ein derart aufwendiges Modell nicht ausreichte. Um die Prozesse auf Zellebene zu verstehen, sind daher neue numerische Verfahren und eine skalierbare Softwarearchitektur für Supercomputer erforderlich. „Unser Ziel ist es, Herzrhythmusstörungen frühzeitig zu erkennen und konkrete Behandlungen zu entwickeln, indem problematische Zellen identifiziert und eventuell entfernt werden“, sagt Anzt.

 

Genauere Wetter- und Klimavorhersagen

 

Auch für einen ganz anderen Anwendungsfall stellen Anzt und sein Team ihre Expertise zur Verfügung: Sie arbeiten daran, den Klimacode ICON mithilfe von effizienterer Software und numerischer Verfahren zu beschleunigen und dessen Ausführung auf verschiedenen Systemen zu optimieren. ICON wurde vom Deutschen Wetterdienst, dem Max-Planck-Institut, dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und anderen Institutionen entwickelt und wird unter anderem vom Deutschen Klimarechenzentrum (DKRZ) sowie für die Berechnung der täglichen Wettervorhersage in der Tagesschau verwendet. 

ICON verwendet ein Gitter, das die Erde abbildet, um das Wetter in möglichst eng eingegrenzten Gebieten vorherzusagen. Je feiner dieses Gitter, desto genauer die Simulation, aber auch desto aufwendiger die Berechnungen. Aktuell ist es sehr zeitintensiv, solche feinen Netze zu erstellen. Deshalb konzentrieren sich Anzt und sein Team darauf, die Simulationen zu beschleunigen. Ein weiteres Ziel ist es, sogenannte Ensemble-Simulationen zu erleichtern, die Unsicherheiten in Wetter- und Klimavorhersagen reduzieren sollen. Dabei werden mehrere Simulationen durchgeführt, bei denen jeweils einige Werte leicht verändert werden, um zu beobachten, welchen Einfluss das beispielsweise auf die Regenwahrscheinlichkeit hat. „Für solche Ensembles wird entweder noch mehr Rechenleistung gebraucht oder die einzelnen Simulationen müssen effizienter gemacht werden. Genau daran arbeiten wir“, sagt Anzt.

 

Für verschiedene Akteure relevant

 

Die unterschiedlichsten Akteure könnten von Wetter- und Klimavorhersagen profitieren. Zunächst einmal gehe es um finanzielle Interessen: „Wenn ich weiß, ob in drei Tagen die Sonne scheint, kann ich dementsprechend am Aktienmarkt Strom kaufen oder verkaufen“, nennt Anzt ein Beispiel. Klimamodelle seien natürlich auch politisch relevant, da sie Aufschluss darüber geben, wie sich bestimmte Regionen in den nächsten Jahrzehnten entwickeln, ob dort etwa verstärkt Extremwetterereignissen auftreten werden und ob diese gegebenenfalls in Zukunft bewohnbar bleiben – wichtige Faktoren also für langfristige Maßnahmen und Planungen.

Wie relevant präzise Wettervorhersagen selbst für das Militär sein können, lehrt die Geschichte: Als für den 6. Juni 1944 eine kurze Schönwetterperiode angekündigt wurde, entschieden sich die Alliierten im Zweiten Weltkrieg dafür, ihre Truppen genau an diesem Tag in der Normandie landen zu lassen. Das Wetter hielt, die Operation glückte – und der Tag ging als D-Day in die Geschichte ein.