Schichtwechsel fördert Inspiration und Inklusion
Ein Geschäftsführer in der Produktionsstraße einer sozialen Einrichtung, eine Rehabilitandin in der Administration eines Universitätsbetriebs – das wurde beim Aktionstag „S(ch)ichtwechsel“ Realität.
In der Region Heilbronn wechselten unter anderem Nadezhda Aleksandrova vom Therapeutikum in Sontheim und Daniel Gottschald, Geschäftsführer der TUM Campus Heilbronn gGmbH, ihr Betätigungsfeld. „Dies ermöglicht es Menschen mit und ohne Behinderung, sich zu begegnen, zu unterhalten und kennenzulernen. Mögliche Vorurteile und Ängste werden dabei abgebaut“, erklärt Manfred Lucha, baden-württembergischer Minister für Soziales, Gesundheit und Integration, die Zielsetzung des Aktionstags.
Das Therapeutikum und die TUM am Campus Heilbronn sind schon länger im Kontakt. Martina Wieland, Geschäftsführerin des Therapeutikums, klärt auf: „Unsere beiden Einrichtungen planen gemeinsam eine Fahrradwerkstatt des Therapeutikums auf dem Bildungscampus.“ Daniel Gottschald ergänzt: „Wir sind auf der einen Seite Exzellenzuniversität und Modellcampus for the digital age, weltweiter Leuchtturm der Spitzenforschung, aber auch ein guter Nachbar unserer Partner in der Region Heilbronn-Franken. Bei all dem gilt: Der Mensch und sein Wissen stehen im Zentrum unseres Wirkens, nicht der ökonomische Nutzen von Humanressourcen.“
Daniel Gottschald ist von der Produktionshalle des Therapeutikums in der Kreuzäckerstraße beeindruckt: ein moderner Maschinenpark, eine perfekt organisierte Produktionsstraße und ein ausgeklügeltes Logistiksystem. „Wir fertigen hier Teile, die andere Lieferanten nicht herstellen können“, erklärt Produktionsleiter Patrick Rückert stolz. Zu den Kunden des Therapeutikums zählen renommierte Unternehmen der Automobil-Branche. Für Rehabilitanden wie Kunden eine Win-win-Situation. Werkstattleiter Marco Sacher gibt Einblicke, wie beide Seiten von der Kooperation profitieren: „Auf der einen Seite fertigen wir technisch aufwendige Produkte, auch in geringen Stückzahlen. Auf der anderen schaffen wir für die Mitarbeiter eine geregelte Tagesstruktur. Das hilft ihnen dabei ein neues Selbstwertgefühl zu entwickeln.“ Leider gebe es in der Gesellschaft immer noch viele Berührungsängste.
„Das Therapeutikum leistet einen maßgeblichen Beitrag zu unseren sozialen Sicherungssystemen, ist eine erfolgreiche Therapieeinrichtung und ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen. Deshalb ist es für uns ein herausragendes Beispiel für gelingendes soziales Unternehmertum und dazu wollen wir als TUM Campus Heilbronn einen Beitrag leisten“, erläutert Daniel Gottschald die Beweggründe, warum sich die Bildungseinrichtung am diesjährigen Aktionstag beteiligt. Gottschald selbst leistet an diesem Tag einen Beitrag im Bereich Manpower, denn für den Geschäftsführer ist nun Schichtbeginn in der Stoßdämpfer-Fertigung. An der ersten Station werden die Teile für die Produktionsstraße vorbereitet und Daniel Gottschald schlägt sich gut: „Das ist gut geschraubt“, erhält er Lob von einem seiner neuen Kollegen.
Der Mensch und sein Wissen stehen im Zentrum unseres Wirkens, nicht der ökonomische Nutzen von Humanressourcen.
Im Anschluss durchläuft er die fünf Stationen der Produktionsstraße, und hier ist Präzision gefragt: „Sowohl die Stoßdämpfer als auch unser Campusbetrieb gehören zu Weltklasse-Produkten unserer Region – beide sind komplexer, als man denkt, nicht immer sichtbar, aber man würde es schmerzhaft spüren, wenn sie nicht da wären… Also eine ähnliche Arbeit! Ich bin beeindruckt von dem, was die Rehabilitanden hier leisten, und ich habe viel von ihnen gelernt“, sagt er. Während seiner Tätigkeit tauscht er sich mit seinen Kollegen aus und erhält am Ende auch noch ein gutes „Arbeitszeugnis“ von Schichtleiter. Auch der Geschäftsführer zieht ein positives Fazit: „Ich bin froh hier zu sein, es macht mir großen Spaß.“
Am Ende seines Schichtwechsels stellt Daniel Gottschald seine Arbeitsschuhe in die Ecke und wirft einen Blick in die Zukunft: „Am TUM Campus Heilbronn bauen wir unsere Seminar- und Begleitveranstaltungen im Bereich Werte und Ethik massiv aus und wollen zum baden-württembergischen Modell eines Inklusions-Campus werden.“
Eine ähnlich gute Figur macht währenddessen die Rehabilitandin auf dem TUM Campus Heilbronn: Nadezhda Aleksandrova lächelt viel, geht ohne Scheu auf alle Mitarbeitenden zu, die ihr vorgestellt werden. Und sie fragt immer wieder nach, möchte möglichst viel darüber erfahren, wie die Dinge am Campus ablaufen. „Ich bin so froh, dass ich hier einen Einblick gewinnen kann. Ich war schon auf dem Bildungscampus – es ist toll, es jetzt von innen zu sehen und hier arbeiten zu können“, freut sich die hochgewachsene junge Frau.
Die Hochschulwelt und auch der Bildungscampus sind ihr vertraut: Die gebürtige Bulgarin hat an der Hochschule Heilbronn ein Studium in Weinbetriebswirtschaft absolviert. Entsprechend leicht fallen ihr die Aufgaben, die Caroline Hoffmann und Bettina Brockmann vom Department of Continuing Education für sie vorbereitet haben: Namensschilder für das erste Planungstreffen zum Festival of LifeLong Learning (FoLLL) vorbereiten, Mappen mit Factsheets bestücken, Blöcke und Stifte im Meetingraum verteilen. Da bleibt ihr zwischendurch genug Zeit, um mehr über sich zu erzählen. Zum Beispiel, dass Salsa-Tanzen zu ihren größten Hobbys gehört. Und dass sie mehrere Sprachen spricht: Neben Bulgarisch und Deutsch beherrscht sie Spanisch, Englisch sowie Italienisch und versteht Russisch. Warum ist so eine begabte Frau überhaupt in den Werkstätten des Therapeutikums tätig? Eine schwere Erkrankung hat ihr Leben vor einigen Jahren komplett verändert. Sie lag im Koma, war komplett gelähmt. Seitdem kämpft sie sich Stück für Stück zurück ins Leben.
Der Vormittag am TUM Campus Heilbronn ist etwas Besonderes für sie: „Ich freue mich, hier zu sein und einen Einblick zu gewinnen, was an Tätigkeiten durchgeführt wird“, fasst sie zusammen. Für die Aktion „Schichtwechsel“ hat sie nur lobende Worte: „Es ist ein tolles Projekt – ich unterstütze es. Es ist gut, woanders Einblick zu gewinnen, wie die Arbeit abläuft.“ Eine Anregung hat sie noch: „Meine Empfehlung ist, es auf mehrere Tage auszudehnen. Wenn man zwei Tage oder sogar eine Woche miteinander im Austausch sein könnte, wäre eine tolle Entwicklung möglich.“