Mit Kreativität und KI gegen den Fachkräftemangel?
Beim Netzwerkformat TUM Talk am Bildungscampus Heilbronn loten Expertinnen und Experten aus, wie sich die Arbeitswelt in Zeiten von demografischem Wandel und technologischem Fortschritt verändert.
Tausende von Informatik-Studierenden müssen an der Technischen Universität München regelmäßig Übungsaufgaben bearbeiten und einreichen. Das Tutoren-Team wird nun von einer Künstlichen Intelligenz (KI) entlastet: „Iris“ gibt unmittelbar eine Rückmeldung, wie die Aufgabe gelöst wurde oder an welchen Stellen es noch haken könnte. Rund 200 Anfragen laufen mittlerweile täglich bei „Iris“ auf, berichtet Stephan Krusche, Professor für Softwareentwicklung an der TUM School of Computation, Information and Technology.
KI-basierte Systeme sind nur einer von vielen Aspekten der Diskussion um den Fachkräftemangel. Nach den Unruhen der Corona-Pandemie hat sich der Arbeitsmarkt neu sortiert. Erwartet wird in vielen Fällen von den Beschäftigten Augenhöhe statt Hierarchie und Flexibilität statt starrer Strukturen. Zugleich sorgt der demografische Wandel dafür, dass die Zahl derer sinkt, die auf den Arbeitsmarkt kommen. Und nicht zuletzt sorgen eben technologische Fortschritte dafür, dass einige Tätigkeiten in Zukunft vielleicht überflüssig werden.
„Man muss sich wirklich etwas einfallen lassen, um den Laden am Laufen zu halten“, sagt Albert Berger, Kanzler der Technischen Universität München. Der TUM Talk, das Netzwerkformat des TUM Campus Heilbronn am Heilbronner Bildungscampus mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft, bot den Rahmen, um zwischen Fakten und Fiktion rund um die Personalfragen zu differenzieren. Die anspruchsvolle Aufgabe berge durchaus Potenzial, sagte Professor Dr. Helmut Krcmar, Beauftragter des Präsidenten für den TUM Campus Heilbronn. Etwa für „engagierte Unternehmerinnen und Unternehmer, die eine gute Chance haben, sich mit klugen Konzepten im Wettbewerb abzusetzen.“
„Es ist ganz klar ein Arbeitnehmermarkt“, sagt Angela Todisco, Head of Human Resources EMEA North beim Softwarekonzern SAP. Sowohl im Recruiting als auch bei der Herausforderung, qualifizierte Beschäftigte zu halten, werden neue Wege erprobt, die in vielen Fällen mehr Flexibilität ermöglichen. Die Bonuszahlung könne etwa mittlerweile – je nach Lebensphase – in einen Zuschuss für die Altersvorsorge oder eine Gutschrift für das Zeitkonto umgewandelt werden, berichtet Todisco.
„Die Veränderung ist überall“, konstatiert Roland Hehn, Personalvorstand von Schwarz Dienstleistungen. Fragen der Weiterbildung oder sogar Umschulung dürften relevanter werden, weil sich Stellenprofile stark verändern. Konkret erwartet das Stefan Wolf, Präsident der Arbeitnehmervereinigung Gesamtmetall, beispielsweise in der Automobilindustrie. „Wir müssen die Menschen mitnehmen und ihnen klarmachen, dass es Veränderungsprozesse geben wird“, sagt Wolf.
Veränderungsbereitschaft sei Grundlage in allen Positionen, sagt Jutta Balletshofer, HR Lead für Europa und Kanada beim Pharmakonzern Organon. Stefanie Leiterholt, President Human Resources & Legal beim Haushaltswarenhersteller WMF, kommuniziert diesen Kulturwandel in vielen Gesprächen mit beunruhigten Mitarbeitern: „Es wird sich was ändern – aber das wird uns Sicherheit geben.“
Jedoch erschweren es Politik und Bürokratie, alle potenziell verfügbaren Arbeitskräfte zu erreichen. Zu wenig Lösungsmöglichkeiten gebe es beispielsweise für den Umgang mit der zu hohen Zahl an Schulabbrechern wie auch für die zu geringe Unterstützung für berufstätige Mütter, mahnt Wolf.
In den mehr als 30 Ländern, in denen die Schwarz-Gruppe aktiv ist, beobachte man verschiedene sinnvolle Aktivitäten, berichtet Hehn. Doch es gehe immer um eine Mischung aus verschiedenen Maßnahmen. Zudem sei es wichtig, die bestehende Belegschaft zu halten – und durch die Digitalisierung „hier und da eine Lücke zu schließen.“
Aktuell kann die digitale Technologie die allermeisten Arbeitsplätze nicht ersetzen. Zu übereifrig in den Ergebnissen, zu unerfahren bei Entscheidungen, sagt Chris Russell, Dieter Schwarz Assistenz-Professor für Künstliche Intelligenz, Verwaltung und Politikgestaltung an der Universität Oxford: „Künstliche Intelligenz verhält sich aktuell wie ein Praktikant am ersten Arbeitstag: sehr enthusiastisch, sehr erpicht – und sehr zögerlich, auch mal ‚Nein‘ zu sagen.“