Der Blick in die Glaskugel
Wie sieht unser Einkaufsverhalten in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren aus? Das verrät uns Professor Martin Meißner im Interview mit HANIX.
Unser Einkaufsverhalten wird – zumindest beim Online-Shopping – mittlerweile lückenlos getrackt. Schauen wir uns Produkte an, werden uns darauf basierend weitere vorgeschlagen, die (noch besser) zu uns und unseren Bedürfnissen passen. Im realen Leben hingegen bewegen wir uns alle durch dieselben Einkaufswelten in den bekannten Discounter- und Einzelhandelsketten – von Individualisierung keine Spur. Doch das könnte sich durch neue Technologien, wie Augmented- und Virtual Reality, ändern.
Am TUM Campus Heilbronn wird intensiv am Thema „Personalisiertes Shopping“ geforscht. Allen voran: Martin Meißner, Professor für Digitales Marketing. Mit ihm haben wir über das Shopping von heute, morgen und übermorgen gesprochen.
Herr Professor Meißner, wie gehen Sie bei Ihren Forschungen zum Kundenverhalten im Supermarkt vor?
Sowohl im digitalen als auch im realen Raum nutzen wir das sogenannte Eye Tracking, um Blickbewegungen zu messen. Dafür haben wir ein Supermarktregal virtuell nachgebaut. Wie bei einem „normalen” Supermarktbesuch auch, können Probandinnen und Probanden Waren „herausgreifen”, von allen Seiten betrachten und sich dann für oder gegen ein Produkt entscheiden.
Das gleiche Regal mit denselben Produkten steht auch in unserem Labor. Durch die Nutzung von Eye Tracking können wir das Verhalten in beiden Umgebungen miteinander vergleichen und so Kaufentscheidungen besser verstehen.
Welche Vorteile ergeben sich daraus für Konsumentinnen und Konsumenten und was haben Anbieter davon?
In unserer wissenschaftlichen Forschung geht es immer darum, mehr über die Präferenzen von Menschen zu lernen, um ein optimiertes Angebot von Unternehmensseite zu schaffen. Darin besteht das Grundprinzip des Marketings – das Prinzip des Kapitalismus, im positiven Sinne.
Indem wir die Vorlieben und Interessen von Menschen kennen und verstehen, können wir das Einkaufserlebnis personalisieren. So können beispielsweise virtuelle Hinweise auftauchen, die Personen mit Allergien vor bestimmten Inhaltsstoffen warnen. Konsumentinnen und Konsumenten, die ihren Einkauf nachhaltig gestalten wollen, können einsehen, wie viele Kilometer ein Produkt zurückgelegt hat, bis es im Regal gelandet ist. Auch Empfehlungen von Bekannten lassen sich virtuell abbilden. All das sind Informationen, die durch das Tragen einer Augmented Reality-Brille verfügbar werden.
Wie steht es bei all den gesammelten Informationen um den Datenschutz?
Natürlich hat die Technologie auch ihre Schattenseiten. Neben Informationen zu unserem Einkaufsverhalten, können potenziell auch biometrische Daten gespeichert werden, die uns identifizierbar machen. Durch die Blickbewegungen weiß ich nicht nur, wo die- oder derjenige hinschaut. Ich weiß auch, wie sich jemand bewegt und könnte daraus ermitteln, ob die Person bewegungseingeschränkt ist. Theoretisch lässt sich auch die Herz- und Atemfrequenz messen. Das geht sogar so weit, dass man feststellen könnte, ob eine Person an einer Herzkrankheit leidet. Andererseits könnte mancher Herzinfarkt so natürlich auch frühzeitig erkannt und verhindert werden.
Grundsätzlich stellt der Datenschutz ein großes Problem dar. Die Frage ist immer: Wer nutzt die Daten zu welchem Zweck? Entscheidend ist, dass wir diese neuen digitalen Umgebungen ausschließlich zum Vorteil unserer Gesellschaft nutzen.
Spulen wir mal zehn, zwanzig, dreißig Jahre vor: Wie könnte der Supermarktbesuch der Zukunft aussehen?
Das ist jetzt der berühmte Blick in die Glaskugel. Wenn ich an die Einkaufswelten der Zukunft denke, stelle ich es mir so vor: Idealerweise haben Konsumentinnen und Konsumenten die Wahl, ob sie ihre eigene Augmented Reality-Brille mitbringen oder die des Anbieters nutzen. Virtuelle Hinweise werden nur dann eingespielt, wenn ich es mir wünsche. Die virtuelle Umgebung kann ich individuell gestalten und so einen Mehrwert für mich erzielen. Ich kann Waren nach meinem Belieben anordnen und sogar ganze Produkte – wie zum Beispiel Alkohol oder zuckerhaltige Dinge – aus dem Sortiment verbannen.
Auch der Einkaufsbummel mit Freundinnen und Freunden, die mehrere hundert Kilometer entfernt wohnen, könnte in Zukunft möglich sein. Und das ist noch nicht alles.
Viele große amerikanische Unternehmen – wie beispielsweise Apple und Meta – arbeiten gerade daran, die ersten Augmented Reality-Brillen herauszubringen. Alltagstaugliche Geräte gibt es allerdings noch nicht. Wer hier die Standards definiert, hat auch die Datenhoheit bei sich. Die Politik reagiert meistens erst, nachdem Unternehmen Fakten geschaffen und Maßstäbe definiert haben. Diesen zeitlichen Verzug gibt es leider. Letztendlich wissen wir also nicht oder zumindest nicht genau, was die Zukunft bringt. Mit unserer Forschung an der TUM versuchen wir aber, dem Ganzen Schritt für Schritt ein Stück näher zu kommen